Warum ich hoffe, dass die Krautreporter vorerst konstruktiv scheitern
09.06.2014
Warum ich die Krautreporter nicht nur NICHT unterstütze, sondern hoffe, dass das ganze Projekt vorerst produktiv scheitert*. Offener Brief an Sebastian Esser, einen der Gründer.
Lieber Sebastian,
wir kennen einander ? nicht besonders gut, aber doch so weit, dass ich Dir und Deinen Projekten mit grosser Sympathie begegne. Daher will ich Dir kurz erläutern, warum ich die Krautreporter nicht nur NICHT unterstütze, sondern hoffe, dass das ganze Projekt ? produktiv scheitert*.
Kurz zu mir: Ich war viele Jahre angestellter Redakteur in Wien und Hamburg, habe 1995 die „ZEIT im Internet“ gegründet, ermögliche seit über einem Jahrzehnt das Internetforum „Höfliche Paparazzi“ und bin seit über zehn Jahren selbständiger Autor und Journalist und Corporate Publishing-Schreiber. Ich denke also, dass ich Euer Anliegen sehr gut nachvollziehen kann, in Ruhe gute Geschichten zu schreiben. Sehr sympathisch. Sehr erstrebenswert. Wer wollte das nicht.
Ich wünsche mir, dass die Krautreporter erst mal scheitern, weil Ihr die Sache nochmal grundsätzlich angehen müsst. Und das geht nur, wenn sie jetzt nichts wird. Das kann so schlimm nicht sein, weil Ihr Scheitern explizit als Option Eurer Kampagne betrachtet.
1. Grund für meinen Wunsch: Ihr wirkt auf mich wie eine Gruppe freier Journalisten, die darauf hoffen, angestellt zu werden – und nicht wie eine Gruppe von Entrepreneuren, die um jeden Preis eine journalistische Vision verwirklichen wollen.
Wenn man die aktuelle Krautreporter-Seite ansieht, dann finde ich dort nichts anderes als Lebensläufe und Themenvorschläge, mit denen Ihr Euch bei der „Crowd“ um eine Einjahres-Anstellung bewerbt (nicht bei einer Redaktion, da sitzt Ihr ja zum Teil schon). Diese „Crowd“ soll Euch Geld geben, damit Ihr das, was Ihr könnt, in Zukunft für sie macht. Bevor das Geld nicht da ist, macht Ihr nichts (ausser Bewerbungen schreiben und zeigen, was Ihr früher schon geschrieben habt).
Das ist ein klassisches Angestellten-Muster. Und hat mit freiem Unternehmertum, wie ich es verstehe und erlebt habe und beobachte, nichts zu tun. Ihr wiederholt also ein Muster jener (alten) journalistischen Welt, die Ihr aushebeln wollt. Ihr wartet wieder darauf, dass Euch jemand die Erlaubnis (das Geld) gibt, etwas tun zu dürfen! Anstatt selber loszulegen ohne jede Rückversicherung. Es ist der absurde Trugschluss vieler Eurer Unterstützer, in Euch den Beweis zu sehen, dass endlich jemand loslegt. Genau das tut Ihr nämlich nicht: Wenn das Geld nicht zusammenkommt, macht Ihr nach eigener Aussage nämlich exakt ? nichts. So weit kann es mit Eurer Vision und Eurem Engagement also nicht her sein, wenn es so leicht wieder beerdigbar ist.
Journalistische Entrepreneure sehen meines Erachtens anders aus. Das sind Leute, die jahrelang in Vorleistung gehen (und entweder Schulden machen oder sie zumindest riskieren**), um ihre Vision eines neuen Journalismus zu realisieren. Mir fallen dazu Menschen wie Oliver Wurm ein (der gemeinsam mit seinem Partner Alex Böker die geniale Panini-Idee hatte und mit deren Erfolg ein wunderbares Projekt wie das neue „Neue Testament“ gestemmt hat – auf eigene Rechnung, auf eigenes Risiko, mit eigenem Einsatz, mit eigenen Schulden), der aktuell mit seinem Fussball-Heft ?54 74 90? alles unternimmt, ein neues journalistisches Format auszuprobieren. Oder ? sehr willkürlich – Markus Huber (den ich schon lange kenne), der in Wien seit Jahren mit seinen Leuten „Fleisch“ produziert, ein neues Magazin mit jungen Journalisten – und dafür Schulden macht und Risiken eingeht und nachts nicht schlafen kann. Ich denke an die vielen Online-Plattformen, die Lokal-Journalismus machen und seit Jahren um jeden Millimeter Boden fighten, um jeden Anzeigenkunden. Ich denke an Sascha Lobo, der da an dem social-reading-Ding werkelt und einen wesentlichen Teil seiner Zeit dafür aufbringt, es realisiert zu bekommen – nachdem er die fixe Idee entwickelt hat, eBooks neu zu definieren. Es gibt tausende weitere, klar.
Das sind Entrepreneure.
Ihr seht im Vergleich dazu leider wie Angestellte aus.
Zwei Dutzend Leute, die drauf warten, dass man Ihnen 900.000 Euro gibt, damit sie anfangen, eine Vision zu entwickeln. Hm.
Der einzige, bei dem ich ziemlisch sicher bin, dass er ein Entrepreneur ist, bist Du, Sebastian. Du hast Krautreporter angefangen, sicher auf eigene Rechnung, mit Schulden etc. Aber all die anderen?
2. Grund: Ihr habt nicht nur keine Vision des neuen Journalismus – sondern Ihr findet das auch noch gut so.
Wenn heute jemand sagt, so wie Ihr das tut, er wolle den Online-Journalismus reparieren, dann muss er zumindest andeuten, wie er das anstellen will. Der müsste meines Erachtens grundsätzlich werden. Der müsste sich dazu aufschwingen, eine Theorie zu entwickeln, wie journalistisches Erzählen im Jahr 2014ff funktionieren kann. Der müsste beim Start des Projekts zumindest kurz aufschreiben, welche existierenden journalistischen Projekte im Netz Eurer Vision nahekommen, wie Ihr sie adaptieren wollt, wie darüber hinausgehen, in welchen Punkten Ihr total revolutionär sein wollt etc. pp.
Ihr aber skizziert die Krautreporter-Homepage als eine Artikel-Abwurfstelle, auf der es täglich was zu lesen geben soll. Das wars im Grund schon. Hintergründig, logisch. Nach langen Recherchen. Weitere Grundsatzideen? Null.
Mal abgesehen davon, dass Ihr keine Vision für Eure Plattform skizziert – Ihr denkt auch noch unwidersprochen in ganz klassischen journalistischen Formaten. Ihr denkt in Artikeln, Texten und Bildern, in Reportagen und Interviews. Kennen wir, haben wir, brauchen wir immer – aber ist das schon eine Idee? Eher nicht.
Ich finde keinen einzigen Gedanken bei Euch, welche irre Idee Ihr für das neue Erzählen im Netz hattet. Ich finde nichts über irgendwelche wissenschaftlichen Untersuchungen zum Leseverhalten im Netz, an die Ihr Euch halten wollt, keine Skizzen neuer Gestaltung, die Ihr auf Eurer Seite andeutet, keine Scribbles, Absurditäten, Randbemerkungen – nichts.
Stattdessen eine flott zusammengebastelte Kollektiv-Bewerbungsmappe mit Filmchen. Aber das hatten wir schon.
Ich weiss: Ihr wollt das Konzept gemeinsam mit der „Crowd“ entwickeln, das sei das Besondere an den Krautreportern.
Es ist ein weiterer folgenschwerer Irrtum, das für avantgardistisch oder sonstwie innovativ zu halten. Alles, was man damit tut, ist, die mühselige Arbeit der Konzeptentwicklung auf andere abzuwälzen. An die Leute da draussen. Die dann am Ende auch schuld sind, wenn nichts Spannendes überkommt.
Euer Ansatz, die „Crowd“ sagen zu lassen, was Ihr machen und schreiben sollt, hat einen konservativ-schauerlichen Kern. Ich weiss nicht, ob es Euch aufgefallen ist, aber so machen das die klassischen Medien auch. Dort heisst es „Zielgruppen“-Programm. Die Medien fragen die „Crowd“, was sie sehen und lesen will und versuchen es dann umzusetzen. Und Ihr stellt mir diese Idee als ein Alleinstellungsmerkmal von Krautreporter dar?
Nur um das klarzustellen: Ich finde das partizipative Grundprinzip spannend. Das kann aber nur dann seine Kraft entfalten, wenn es eine Leitidee gibt, eine Verfasssung, eine Grundsatzerklärung, an der sich die Meinungsbildung entwickeln kann (so meine langjährige Erfahrung aus dem Forum). Wenn es Kristallisationspunkte gibt, an denen sich eine Debatte entzünden kann.
Ihr aber ähnelt einem Spitzenkoch, der zu den erwartungsvoll dasitzenden Gästen kommt und sie fragt: „Was soll ich Euch kochen, Leute! Sagt es mir! Ich kann alles!“ Und der dann in Panik flieht, weil 10 Leute zehn vollkommen unterschiedliche Ideen haben, die nicht zusammenpassen.
3. Grund: Ihr stilisiert die Idee der Krautreporter zum Sein-oder-Nichtsein des neuen Online-Journalismus. Und das ist fatal.
Wie weit diese Alles-oder-Nichts-Metapher durch Euch entstanden ist oder Eure Unterstützer sie stark gemacht haben, kann ich nicht beurteilen. Ihr habt Ihr jedenfalls nicht widersprochen, das reicht. Ihr lasst die Metapher bestehen und bedient Euch ihr.
So herrscht meines Erachtens nach derzeit die Stimmung: Jetzt! Endlich! Neuer Journalismus! Und wenn nicht jetzt, dann für lange Zeit nicht!
Dass Ihr diese Metapher wohlwollend in Kauf nehmt ist nachvollziehbar: Man bringt die Leute eher dazu, bei etwas mitzumachen, wenn man die Angelegenheit dramatisiert. Wenn es um alles geht, dann sehe ich über nicht funktionierende Details leichter hinweg. Ist ja für die grosse Sache.
Diese Positionierung hat nur ein paar Probleme. Das eine: Von vielen Eurer Unterstützer werden kritische Anmerkungen als Illoyalität interpretiert. Jeder, der Krautreporter kritisch sieht, wird zum Renegaten, der der gemeinsamen Sache schadet. Das ist nicht nur ungemütlich (auch für mich), sondern ähnelt all jenen politischen Debatten, in denen Abweichler mit dem Hinweis auf den Klassenfeind auf Kurs gebracht werden. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Wenn Journalisten an etwas grösstes Interesse haben sollten, dann an offenen Diskursen. Sie leben davon.
Ein weiteres, ungleich grösseres Problem: Es besteht jetzt die Gefahr, dass ihr mit dieser Strategie Euer undurchdachtes Projekt durchbringt, Ihr also bald mit 900.000 Euro dasteht bzw. dasitzt und dann erst mit der Konzeption anfangt ? immer wissend, dass die Sache, die Ihr Euch ausdenken werdet, sicher realisiert wird! Das Geld ist ja da!
Das ist eine sehr beunruhigende Vorstellung. Denn so funktioniert die Entwicklung neuer Projekte meist nicht (wie jeder Selbständige aus leidvoller eigener Erfahrung weiss, der sich durch Pitches und Präsentations quält).
Neue Projekte entstehen meist so:
– Erst muss eine starke Idee her, die ihre Urheber unbedingt Wirklichkeit werden lassen wollen.
– Dann kommt der Kampf ums Geld.
– Und schliesslich steht dann das fertige Produkt da.
Dieser Ablauf mag mühselig sein, ist aber ziemlich erfolgversprechend. Denn:
– Selten nimmt eine erste Idee gleich konkrete Form an
– Sie wird erst mal entwickelt
– Im langen Kampf ums Geld wird sie dann immer wieder überdacht, geändert, modifiziert, verworfen und re-animiert
– Bis es dann eine Beta-Version gibt, die nochmals überarbeitet wird.
Ihr hingegen macht es Euch sehr bequem. Skizziert was Kurzes, wartet aufs Geld und setzt Euch erst dann hin, wenn die Realisierung Eurer Idee gesichert ist.
Das heisst: Ihr wollt die Vorarbeiten erst leisten, wenn das Projekt schon gekauft ist. Hm.
In diesem Sinne, lieber Sebastian, wünsche ich Euch, dass die Krautreporter jetzt scheitern (was sie angesichts der hunderttausenden Euros, die Ihr schon habt, ohnehin nicht mehr können) und Ihr in einem halben Jahr mit einer zwingenden Idee überkommt.
Dann haue ich gerne 60 Euro raus – ob per Mastercard, PayPal oder auf kleine Steintäfelchen gebosselt ist mir egal.
Dein Anko
* Anmerkung: Ursprünglich stand da „nichts wird“ – aber Martin Virtel hat den ungleich besseren Begriff „produktives Scheitern“ eingeführt – und daher verwende ich ihn hier.
** David Schraven (@David_Schraven) hat zurecht darauf hingewiesen, dass Unternehmen nicht zwangsläufig Schulden machen müssen und verweist auf das Vorbild der Krautreporter, https://decorrespondent.nl/. Daher die Änderung an der Stelle.
Auf Facebook gibt es eine kleine Debatte zu dem Text:
[…] ich den Krautreportern vor deren Start im Juni 2014 gewünscht habe, sie mögen »vorerst konstruktiv scheitern«) und sie jetzt dabei zu sein scheinen, ganz unkonstruktiv dasselbe zu tun, noch eine kurze […]
[…] zu packen und dann zu hoffen, dass daraus was Gutes entsteht. Dr. Ankowitch kritisiert in seinem Blog die Krautreportern u.a. für ihren fehlendes Unternehmertum. Ja, da mag er Recht haben. Ein […]